Soziale Bewegungen in Griechenland nach dem Regierungswechsel

Interview mit Yavor und Danea

anarhisti-okupaciya-syrizaWas bereitet euch, aus eurer antifaschistischen und antiautoritären Perspektive am meisten Sorgen mit Blick auf die neue griechische Regierung?

Danea: Für mich ist das erste Problem mit SYRIZA, dass sie mit einer rechtspopulistischen Partei, der ANEL, koalieren, um regieren zu können. Es ist nicht das erste links-rechts Bündnis in der jüngeren griechischen Geschichte, aber aus einer linksradikalen Position heraus, ist das definitiv besorgniserregend. Auf der anderen Seite gab es aber auch keine andere Partei, mit der SYRIZA – vor allem in wirtschaftspolitischen Fragen – hätte kooperieren können. Die einzige andere linke Kraft im Parlament ist die KKE, die kommunistische Partei, die sich offen positiv auf Stalin beziehen…um Himmels Willen, sie sind ernsthafte Fans von Stalin.

Yavor: Ich persönlich halte die Koalition für kein all zu großes Problem. ANEL ist eine sehr junge und populistische Partei, die einen großen Hang zu Verschwörungstheorien hat. Ihr Diskurs ist ohne Frage gefährlich, aber sie besitzen weder die Macht noch die Erfahrung ihn wirksam durchzusetzen. Mich enttäuscht vielmehr, wie stark sich SYRIZA von einem basisdemokratisch orientierten Ansatz entfernt hat.

Sie sind eine neo-keynesianische Regierung, die es eventuell schafft, realpolitisch einige Punkte zu machen, wie etwa der Anstieg des Mindestlohnes und ähnliches. Noch im Wahlkampf 2012 war ihre Parole „SYRIZA – das bist du!“ und sie haben Versammlungen an öffentlichen Plätzen und andere basisorientierte Angebote organisiert, die ein ernsthaftes Interesse an einer Beteiligung von unten vermuten lassen konnte. In ihrer jetzigen Wahlkampfkampagne wurde dieser Slogan durch einen viel populistischeren und nichtssagenden ersetzt: „SYRIZA – die Hoffnung kommt!“. Für mich klingt das viel mehr nach einer Obama-mäßigen Propaganda, die lieber mit den Hoffnungen von Leuten spielt, anstatt sie ernsthaft darin zu bestärken aufzubegehren. Ich halte das für einen ziemlich symbolischen Moment, der den Wandel innerhalb SYRIZAs ausdrückt. Und ein Grund dafür ist sicherlich auch der steigende Einfluss ehemaliger PASOK-Mitglieder, die nach und nach in die Partei eingesickert sind.

Für die sozialen Bewegungen heißt das aber auch gleichzeitig, jetzt schnell darauf zu reagieren. SYRIZA wird die Gesellschaft nicht von unten demokratisieren und sie haben auch nicht einmal etwas in der Art versprochen. Sie konzentrieren sich in aller erste Linie auf wirtschaftspolitische Fragen und so lange die Situation so schlecht ist, wie sie ist, werden sie primär auch daran gemessen werden.

SYRIZA wurde, wie ihr erwähnt habt, vor allem für ihr wirtschaftliches Programm gewählt, aber der äußere Druck in dieser Frage ist enorm hoch und ihre Handlungsspielräume sehr gering. Für wie realistisch haltet ihr eine ernsthafte Verän-derung der Situation unter der neuen Regierung und welche Gefahren seht ihr, falls sie mit ihrem Programm scheitern?

Yavor: Der neo-keynesianische Ansatz SYRIZAs war von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Sie halten an einer Idee fest, die vor allem in den 60er und 70er Jahren in den USA und Europa für eine Zeitlang funktioniert hat, weil der Staat noch eine wesentlich zentralere Rolle gespielt hat. Heute – und das sieht man auch in jedem Statement der SYRIZA-Regierung – ist der Markt, der heilige Markt, der Referenzpunkt aller Argumente. In dem Moment, in dem sie versuchen den starken Staat wieder aufzubauen, wird das Kapital auf der Suche nach „besseren Bedingungen“ das Land verlassen. Und das Problem an einem Scheitern SYRIZAs wäre auch, dass andere linke Parteien – wie etwa Podemos in Spanien – in Bedrängnis geraten könnten. Griechenland könnte in so einem Fall ein willkommenes Beispiel werden, auf das sich Rechte und Liberale berufen könnten. Solange die griechische Regierung in einem neoliberalen Europa sehr allein dasteht, werden sie sich früher oder später von ihrem neo-keynesianischen Traum verabschieden müssen, um zu überleben.

Hinzu kommt, dass SYRIZA vielen Leuten ein Stück Hoffnung in das System der repräsentativen Demokratie zurück gegeben hat, welches sie gerade drohten zu verlieren. Und für den Fall, dass sie mit ihrem Programm scheitern, würde das auch bedeuten, dass die einzige parlamentarische Kraft, die sich als regierende Partei noch nicht in Misskredit gebracht hat, die „Goldene Morgenröte“ werden würde – einzig aus dem Grund, weil sie noch nie an der Regierung waren.

Danea: Aus der Perspektive der Bewegungen hat der Wahlsieg SYRIZAs uns als allererstes wieder Luft zum Atmen gegeben. Die Polizei greift unsere Räume nicht mehr an und die Nazis haben im Augenblick nicht mehr den Mut auf die Straße zu gehen. Deshalb ist das für uns ein guter Moment über unsere gewohnte Praxis von Solidaritätsbekundungen und symbolischen Aktionen hinauszugehen. Wir können uns jetzt zum Beispiel auf den Aufbau von Strukturen eines soldiarischen Wirtschaftens konzentrieren, die den Leuten eine ökonomische Perspektive jenseits des kapitalistischen Marktes bieten. Was wir brauchen sind wirtschaftliche Beziehungen, die von unten nach oben gestaltet sind und in denen die Produkte in erster Linie den Produzierenden zu Gute kommen. Jetzt, wo die Repression nachlässt, haben wir mehr Möglichkeiten solche Beziehungen aufzubauen und es gibt ja auch schon eine Menge solcher antiautoritärer Kollektive und Kooperativen in Griechenland oder auch in Spanien, die wir weiter ausbauen und miteinander vernetzen müssen.

Die Menschen in Griechenland sind hungrig und verzweifelt und trotz all der Hoffnung wird SYRIZA diese Situation nicht grundlegend ändern können. Aber genauso wenig haben Leute etwas davon, wenn man ihnen wie seit Jahrzehnten große Geschichten über die Gesellschafts- und Produktionsverhältnisse in einer Zukunft erzählt, die für sie nicht greifbar ist. Sie wollen Verbesserungen – hier und jetzt – und wenn sie sehen, dass ihre Nachbarin die Krise übersteht, weil sie sich z.B. in einem selbstorganisierten Kollektiv einbringt, dann folgen sie eventuell ihrem Beispiel. In Krisenzeiten sind die Menschen nicht besonders gewillt, schönen aber schlussendlichen leeren Versprechungen anzuhängen und deshalb müssen wir zeigen, dass es Wege gibt, die im Hier und Jetzt funktionieren. Andernfalls werden sie ihre Hoffnung schnell wieder in einem starken Staat, im Faschismus oder irgendeinem anderen ihnen altbekannten Horror suchen.

Glaubt ihr, dass die sozialen Bewegungen diese Rolle ausfüllen können oder haben sie es nun schwerer, weil viele Menschen sich darauf verlassen, dass SYRIZA ihre Probleme lösen wird?

Danea: Im Moment unterstützt der Großteil der Bevölkerung die Regierung. Und natürlich erwarten diese Menschen von der Regierung eine Lösung ihrer Probleme. Doch wenn wir „das Problem“, also die vernichtenden Bedingungen in denen Menschen Leben, als eine Folge der kapitalistischen Produktionsweise verstehen, wird und ist SYRIZA gar nicht im Stande dazu dieses Problem zu lösen. SYRIZA ist keine revolutionäre Partei. Das ist keine pessimistische Einschätzung, es wäre nur verrückt das zu glauben. Eine Revolution ist dann erfolgreich, wenn Menschen sich dazu entscheiden ihr eigenes Leben in die Hand nehmen und nicht, wenn eine Partei ihnen sagt, was zu tun ist. Das ist ein Punkt an dem wir uns von anderen anarchistischen Kollektiven unterscheiden. Wir glauben nicht, Menschen vom revolutionären Kurs überzeugen zu können, sondern, dass sie selber diese Überzeugung entwickeln müssen und darin sind wir nicht mehr Spezialist*in als jede*r Andere.

Was die sozialen Bewegungen jedoch tun können ist, den Raum erweitern, in dem Menschen nicht nur wieder atmen, sondern auch die konkrete Erfahrung des Selbstorganisierung machen können. In der Güterproduktion können wir zum Beispiel die Idee der direkten Produzent*in – Konsument*in Beziehung vermitteln. Natürlich ist das nichts, was wir von unserer Regierung oder dem Kapital erwarten können. In dem internationalen Marktsystem in dem wir leben, gewinnt das Kapital Profite durch die Aneignung des Mehrwerts und wird immer darauf bestehen. Arbeiter*innenselbstverwaltung wird daher immer in Konflikt zum Kapitalismus stehen. Als soziale Bewegungen müssen wir daher für ein Verständnis von Arbeit als soziales Verhältnis und nicht nur als Produktionsmittel neben Ressourcen, Maschinen und so weiter, streiten. Die Produkte gehören vor allem den Menschen, die sie produzieren und nicht dem Kapital.

Kann SYRIZA die Öffnung dieser Räume unterstützen?

Yavor: Ich glaube, dass das eines der Dinge sein kann, die SYRIZA erreichen kann. Sie können viel für die Unterstützung der Schaffung von alternativen Arten der Produktion, die soziale Wirtschaft, wie sie es nennen, tun. Sie lassen den Bewegungen mehr Raum, in dem sie die Repression reduzieren. Das ist der Zeitpunkt für die Bewegungen sich zu reorganisieren.

Wie immer, und das ändert sich nicht durch die neue Regierung, müssen die sozialen Bewegungen von unten den Druck aufrecht erhalten. Ich glaube nicht, dass ein revolutionärer Wechsel durch einen plötzlichen grundlegenden Bruch geschieht und ich glaube auch, dass das etwas ist, was wir nicht erleben wollen würden. Gäbe es Morgen eine Revolution wäre Übermorgen ein furchtbarer Tag, solange Menschen in der kapitalistischen Welt des sozialen Kannibalismus sozialisiert sind. Menschen müssen grundlegend erlernen, dass der erste Schritt in ein besseres Leben die Partizipation an der Gestaltung des eigenen Lebens ist. Und das ist ein langer und langsamer Prozess. Das Problem ist nun, dass viele den Sieg SYRIZAs als einen Sieg der repräsentativen Demokratie sehen doch in Realität hat sich in Sachen Partizipation von unten wenig geändert. Wenn wir wirklich nach einer grundlegenden Veränderung suchen, müssen wir den uns nun gegebenen Raum nutzen um Schritt für Schritt unser Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Das ist nichts, was du nur durch das Lesen von Büchern erlernst – das musst du machen und erfahren.

Ausschnitt aus Was nun? Soziale Bewegungen in Griechenland nach dem Regierungswechsel

Source: ROARmag

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